Bonn und Hannover, 19. Juni 2000
- Mut zur Wahrheit
Die Sicherung im Alter besitzt für
die Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben und die sich
auf die Systeme der Alterssicherung verlassen, hohe Bedeutung. Wenn
diese Sicherung gefährdet ist oder sich großen Problemen
gegenüber sieht, steht für den einzelnen und das Gemeinwesen
viel auf dem Spiel. In Deutschland ist dies der Fall. Das ist der
Grund, warum sich die Kirchen zu Wort melden. Grundlegende Reformen
stehen an. Sie müssen mehr sein, als ein Kurieren an Symptomen.
Es muß zu Weichenstellungen kommen, die von Verantwortung
und Weitsicht bestimmt sind.
Die Finanzierung der Alterssicherung in
Deutschland ist immer schwieriger geworden. Wenn dieses Problem
nicht gelöst wird, sind die Alterssicherungssysteme mittel-
und längerfristig gefährdet.
Viele Jahre verschloß man die Augen
vor der Frage, wie sich der dramatische Rückgang der Geburtenzahl
und die gestiegene und noch weiter ansteigende Lebenserwartung der
Menschen auf die Alterssicherungssysteme auswirken. Es werden heute
viel weniger Kinder geboren als zu einer gleichbleibenden Struktur
des Bevölkerungsaufbaus notwendig ist. Außerdem hat sich
die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 30 Jahren stark
erhöht. Tendenziell treten immer weniger junge Menschen ins
Erwerbsleben ein. Entsprechend geht die Zahl der Beitragszahler
zurück. Dies kann durch eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit
und die Erhöhung der Erwerbsquote zum Beispiel von Frauen nur
teilweise ausgeglichen werden. Der Anteil der Rentner und Pensionäre
nimmt zu. Erheblich verschärft haben sich die Folgen dieser
Situation für die Rentenversicherung durch die Frühverrentungen.
Es gibt viele Vorschläge, wie die drohende
Krise der Systeme der Alterssicherung vermieden werden kann. Sie
haben jedoch nicht selten kürzere Zeiträume im Blick oder
stellen gar auf den nächsten Wahltermin ab. Oder sie nehmen
zu sehr Rücksicht auf das, was vermeintlich zumutbar ist. Manche
sehen die Verantwortung nur auf einer Seite und verkennen die gemeinsame
Verantwortung aller. Eine nachhaltige Reform der Alterssicherung
braucht aber nicht nur den Willen zur Gerechtigkeit, sondern auch
den Mut zur Wahrheit.
Die Kirchen können und wollen kein
bestimmtes Modell der Alterssicherung vorschlagen. Ihnen geht es
um Grundorientierungen und zentrale Eckpunkte. Sie rufen die Politiker
und Sozialpartner auf, sich in dieser Frage von Weitsicht und der
Gerechtigkeit leiten zu lassen.
- Alterssicherung als gemeinsame Aufgabe
Die Vorsorge für das eigene Alter ist
für jeden und jede, der oder die dazu in der Lage ist, eine
der vorrangigen Aufgaben und Pflichten. Selbstverantwortete Vorsorge
ist zwar keine Alternative zu einer gemeinschaftlich organisierten
Alterssicherung, aber doch ihr notwendiger und unverzichtbarer Bestandteil.
Als Mitglied der Gemeinschaft hat jeder Bürger und jede Bürgerin
die Pflicht, Vorsorge für das Alter zu üben. Mit dem eigenen
Beitrag werden Familie, Gemeinwesen und Solidargemeinschaft entlastet.
Das Bewußtsein für die Eigenverantwortung als Ausdruck
solidarischer Verbundenheit muß deshalb zunehmen.
Dabei darf nicht übersehen werden,
daß diese Vorsorge, auch wenn sie in verschiedenen Formen
erfolgt, immer an die Generationensolidarität gekoppelt ist.
Der alte Mensch ist auf wirtschaftliche Güter und soziale Dienste
angewiesen, die von der arbeitenden Generation geschaffen werden.
Generationensolidarität bedeutet aber auch die rechtzeitige
und ausreichende Sorge für Kinder und für die nachrückende
Generation.
In einer durch starken wirtschaftlichen
und sozialen Wandel geprägten Gesellschaft kann nicht mehr
damit gerechnet werden, daß familiäre und berufliche
Zugehörigkeiten stabil und umfassend genug sind, um eine die
solidarische Vorsorge ergänzende Eigenvorsorge zu gewährleisten.
Denn nicht jeder und jede ist in der Lage, für sich selbst
vorzusorgen. Dies gilt vor allem für Geringverdiener, Alleinerziehende,
Frauen und Männer mit unterbrochenen Erwerbsbiographien. Jeder
Mensch hat aber auch im Alter ein grundlegendes Recht auf Leben
und auf die Sicherung seiner Existenz. Deshalb wurden in allen modernen
Staaten soziale Sicherungssysteme geschaffen, in denen die grundsätzliche
Solidarität der Bürger zum Ausdruck kommt.
Wo die Gemeinsamkeit nur unzureichend verwirklicht
ist und wo die Lasten ungleich verteilt sind, kommt es zu Schieflagen,
zu Über- und Unterversorgung, zu Belastungen für die Wirtschaft,
zu Ungleichheit, aber auch zu Armut und Ausgrenzung. Dann treten
auch gravierende Finanzierungsprobleme auf, die Staat, Gesellschaft
und Wirtschaft belasten, und die Alterssicherung schwächen.
Dann wird auch die Würde von Menschen verletzt, die - im Alter
hinfällig geworden - nicht die Hilfe bekommen, die sie für
ein gesichertes Leben benötigen. Diejenigen, die erwerbstätig
waren und diejenigen, die Kinder großgezogen haben, haben
viel für andere getan. Es ist deshalb nicht zu verstehen, wenn
sie im Alter nicht in der erforderlichen Weise versorgt wären.
Nach biblischem Verständnis sind die
alten Menschen in ihrem Anspruch auf Anerkennung ihrer Würde
und Lebensleistung zu achten, damit auch deren Kinder, selbst einmal
alt geworden, im Sinne des Generationenvertrages in den Genuß
des Schutzes und der Versorgung im Alter kommen können. So
fordert das Vierte Gebot, die Eltern zu "ehren", d.h. sie in ihrer
Würde zu achten und sie im Alter zu versorgen, damit es auch
den Kindern später im Alter "wohl ergehe" und sie "lange leben".
Die materielle Sicherung ist nur ein Teil der umfassenderen Aufgabe,
zur Geborgenheit im Alter beizutragen. Dabei ist jeder einzelne
grundsätzlich dafür verantwortlich, eigene Leistungen
im Rahmen der Vorsorge für die Sicherung seines Alters zu erbringen.
Dies ist eine Aufgabe, der nachzukommen er sich selbst und der Gemeinschaft
schuldig ist. Die Bereitstellung materieller und geistiger Existenzgrundlagen
ist eine Voraussetzung für die menschliche Freiheit. Nach biblischer
Auffassung gewährt diese Grundlagen letztlich Gott, der segnend
die Menschen erhalten will, um sie zu seinem Frieden und seiner
Gerechtigkeit zu rufen.
- Die entscheidenden Herausforderungen - Situationsanalyse
Das bisherige System der gesetzlichen Rentenversicherung
ist auf die gemeinschaftliche Absicherung der elementaren Lebensrisiken
ausgerichtet: Erwerbsunfähigkeit, Alter und Ausfall des Ernährers
durch Tod. Seine Grundstruktur folgt dem richtigen Grundgedanken,
die Alterssicherung in Solidarität der Generationen gesetzlich
auszugestalten:
Die tragenden Elemente sind
- die regelmäßige Anknüpfung
der Versicherungspflicht an eine Beschäftigung als Arbeitnehmer,
- die Umlagefinanzierung über rechtlich
und organisatorisch verselbständigte Träger, die jeweils
hälftige Aufbringung der Beiträge durch Arbeitnehmer und
Arbeitgeber,
- die Beitrags- und damit Lohnbezogenheit
der Renten sowie
- die an den Ausfall des Unterhalts durch
den Versicherten anknüpfende, abgeleitete Hinterbliebenenversorgung.
Die Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung
im Jahre 1957 hat sich als Eckpfeiler unseres Sozialstaates bisher
bewährt. Durch diese Reform wurde die Teilnahme der aus dem
Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer am wachsenden Ertrag der
Wirtschaft gesichert. Die Neuordnung orientierte sich jedoch an
den damaligen sozialen Verhältnissen und Leitvorstellungen,
denen zufolge Heirat und Familie mit Kindern das Normale waren und
Väter in der Regel dauerhaft erwerbstätig, Mütter
aber weitgehend voll mit hauswirtschaftlichen und Erziehungsaufgaben
beschäftigt waren. Dies hat sich grundlegend gewandelt. Zudem
kamen auf die Alterssicherungssysteme in der Folgezeit viele politisch
motivierte, vom Parlament beschlossene Änderungen und Ausweitungen
zu. Solange die Wirtschaft wuchs und auch immer mehr Arbeitsplätze
entstanden, konnten die Beitragseinnahmen und die Leistungsausgaben
einigermaßen im Gleichgewicht gehalten werden.
Dieses System steht vor grundlegenden Herausforderungen:
a) Eine entscheidende Bedeutung für
die Zukunft der Alterssicherung hat die Geburtenrate. Nach
den Feststellungen der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission
"Demographischer Wandel in Deutschland" liegt die Zahl der Geburten
unter der für die Erhaltung der Bevölkerungsgröße
erforderlichen Zahl. Das gerade für die Altersvorsorge so bedeutsame
"Bestanderhaltungsniveau" wurde in Deutschland bereits in den 20er
Jahren des vorigen Jahrhunderts unterschritten und später trotz
des sog. Babybooms in den 60er Jahren von keiner Generation mehr
erreicht. Seit Mitte der 70er Jahre liegt die Zahl der Geburten
um rund 1/3 unter der für die Erhaltung der Bevölkerungsgröße
erforderlichen Zahl.
Die Folgen dieser Entwicklung für die
Alterssicherung sind gravierend. Als umlagefinanziertes Alterssicherungssystem
ist die gesetzliche Rentenversicherung einem besonderen Risiko ausgesetzt,
wenn sich das zahlenmäßige Verhältnis der Generationen
zueinander spürbar verändert. Dann nämlich ändert
sich das Verhältnis von Leistungsempfängern und Beitragszahlern
grundlegend. Mittel- und langfristig ist deshalb mit erheblichen
Schwierigkeiten für die Alterssicherung zu rechnen.
b) Zum anderen verschiebt sich seit längerer
Zeit die Relation zwischen Erwerbstätigen und Rentenbeziehern
aufgrund der erfreulicherweise deutlich gestiegenen und voraussichtlich
weithin steigenden Lebenserwartung: Heute hat ein 65jähriger
Versicherter eine verbleibende durchschnittliche Lebenserwartung
von über 15 Jahren, eine Versicherte gleichen Alters von annähernd
19 Jahren. Dementsprechend verändert sich die durchschnittliche
Rentenbezugsdauer. Es ist augenscheinlich, daß dieser Effekt
durch eine "Frühverrentung" von Versicherten zusätzlich
verstärkt wird.
Beide Faktoren ñ die demographische
Entwicklung wie die Verlängerung der durchschnittlichen Rentenbezugsdauer
infolge der gestiegenen Lebenserwartung ñ sind bereits heute
für die weitere Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung
bedeutsam. Zwar hängt eine genaue Prognose der auf die gesetzliche
Rentenversicherung zukommenden Belastungen von verschiedenen weiteren
Faktoren ab. Diese können aber voraussichtlich die durch die
demographische Entwicklung bedingten Effekte nur teilweise glätten
und sind ihrerseits in ihren konkreten Auswirkungen nur bedingt
abschätzbar.
c) Als bedeutsamer Faktor für die gesetzliche
Rentenversicherung erweist sich die zunehmende Erwerbstätigkeit
von Frauen: Sie zahlen eigene Beiträge zur Rentenversicherung
und erwerben eigene Ansprüche. Damit nimmt auch der Anteil
derjenigen zu, die im erwerbsfähigen Alter sind und tatsächlich
einer Erwerbsarbeit nachgehen. Allerdings haben Frauen meist geringere
Einkünfte als Männer, sind öfter teilzeitbeschäftigt
oder haben unvollständige Versicherungsbiographien. Dies bleibt
nicht ohne Folgen für ihre Sicherung im Alter.
d) Von erheblicher Bedeutung ist auch die
durchschnittliche Dauer des Erwerbslebens. Diese hat sich
in den letzten Jahrzehnten durch die Verlängerung der Ausbildungsphase
einerseits und die Zunahme von Frühverrentungen andererseits
in größeren Bevölkerungsgruppen sehr verkürzt.
Nur wenn es gelingt, trotz des starken ökonomischen Wandels
die älteren Arbeitskräfte wieder länger in Beschäftigung
zu halten, könnte hier eine Entlastung der Rentenversicherung
erreicht werden.
e) Wichtig für die Situation der Alterssicherung
ist auch die Frage des Zuzugs von Ausländern. Der ist
bei weitem nicht so groß, daß eine deutliche Verbesserung
für die Renten erwartet werden könnte. Es müßte
dann schon jährlich eine sehr hohe Zahl von Ausländern
einwandern und mit ihren Familien integriert werden. Dies erscheint
kaum realistisch.
f) Eine nicht unbeträchtliche Rolle
spielt auch der medizinische Fortschritt: Er hat erheblichen
Einfluß auf die Entwicklung der Lebenserwartung, beeinflußt
aber auch die Kosten des Gesundheitswesens und damit die auf die
gesetzliche Krankenversicherung zukommenden Lasten.
g) In den jüngeren Generationen gleichen
sich die Erwerbsbiographien von Männern und Frauen an.
Viele Frauen wollen auf Erwerbstätigkeit zu Gunsten von Kindern
nicht mehr verzichten, während bei den Männern Unterbrechungen
der Erwerbsbiographien zunehmen. Das Bild vom lebenslang alleinverdienenden
Mann, der in einem Vollzeitberuf bis zum Renteneintritt seine Familie
versorgt, tritt mehr und mehr zurück. Eine zunehmende Bedeutung
haben Erwerbsbiographien von Frauen und Männern, die durch
Kinderpause, durch Arbeitslosigkeit, durch Auslandsaufenthalt, durch
eine Phase ehrenamtlicher Arbeit und andere Anlässe unterbrochen
sind. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen
nehmen zu. Die Folgen für die Alterssicherung dieser Menschen
sind gravierend.
Es sind also zwei neue Dimensionen sozialer
Ungleichheit entstanden: diejenige zwischen Personen mit generativen
Beiträgen und solche ohne Kinder und diejenige zwischen Personen
mit lebenslangen Erwerbsperspektiven (Normalarbeitsverhältnisse)
und solchen mit wechselhaften und unsteten Erwerbsverläufen.
Alles in allem besteht deshalb dringlicher
Handlungsbedarf im Hinblick auf eine langfristig angelegte Reform
des derzeitigen Systems der Altersvorsorge. Dieser erstreckt sich
nicht zuletzt auf die Zeit nach 2030, da schon heute erkennbar ist,
daß die Relation zwischen der Zahl der Erwerbstätigen
und der der Rentenbezieher spätestens dann deutlich ungünstiger
wird.
- Grundlagen des Generationenverbundes
Das geltende System der gesetzlichen Altersvorsorge
beruht auf der Idee des sog. "Generationenvertrages". Leitgedanke
des Generationenvertrages ist, daß jede Generation in zweifacher
Hinsicht zu den Gebenden wie den Nehmenden zählt: Auf der aktiven
Generation lastet sowohl die Sorge um die nachwachsende Generation
als auch die Verpflichtung, die erworbenen Rentenansprüche
der aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen einzulösen. Die jüngere
Generation kann sich auf entsprechende Leistungen der aktiven Elterngeneration
stützen. Die ältere Generation kann wiederum darauf bauen,
von der erwerbstätigen Generation mitgetragen zu werden. In
der natürlichen Abfolge der Generationen und den damit typischerweise
verbundenen Lebenszyklen ist so die Solidarität zwischen den
Generationen im Sinne eines übergreifenden Generationenverbundes
angelegt.
Das macht zugleich deutlich, daß die
Sorge für den Nachwuchs als nicht-monetärer generativer
Beitrag ebenso bedeutsam ist wie die monetären Beiträge,
die jeweils von der aktiven Generation aufgebracht und im Wege der
Umlage an die Rentenbezieher weitergereicht werden. Beide Formen
von Beiträgen ñ monetäre wie nicht-monetäre
ñ sind, auf die jeweilige Generation in ihrer Gesamtheit
bezogen, "Bringschulden".
Die Einsicht in die Bedingtheiten des Generationenverbundes
erklärt, daß die Verschiebung der Relation von Erwerbstätigen
zu Rentenbeziehern ein Gerechtigkeitsproblem zwischen den Generationen
aufwirft: Vor allem in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem
führt dies dazu, daß immer weniger Erwerbstätige
immer mehr Rentner zu finanzieren haben. Dies wirkt sich dahingehend
aus, daß bei gleicher Leistungshöhe deutlich höhere
Beiträge, bei gleicher oder geringerer Beitragshöhe aber
erheblich niedrigere Renten zu leisten wären. In einer solchen
Situation die Lasten ohne deutliches Gegensteuern nur einer Generation
aufzubürden, würde diese nicht nur überfordern, sondern
bedeutete auch einen Bruch mit dem Ziel ausgleichender Generationengerechtigkeit.
In diesem Spannungsverhältnis ist ein deutliches Konfliktpotential
zwischen den Generationen angelegt, das einen gerechten Ausgleich
erfordert.
- Ziele einer langfristig angelegten Reform der Alterssicherung
Reformen, die dem Gedanken der Generationengerechtigkeit
Stand halten, sind unabdingbar. Diese müssen ñ bezogen
auf den einzelnen Versicherten ñ an dem Ziel ausgerichtet
sein, ein menschengerechtes Auskommen im Alter zu sichern, das auf
die individuelle Lebensleistung in Form der jeweiligen monetären
und nicht-monetären Beiträge bezogen ist und Teilhabe
an der wirtschaftlichen Entwicklung sichert. Zugleich müssen
die Reformen - bezogen auf die jeweils betroffenen Generationen
ñ eine gerechte Verteilung der Lasten zwischen den Generationen
anstreben, die den generativen Beitrag der jeweiligen Rentnergeneration
nicht außer Betracht läßt und die aktive Generation
nicht einseitig überfordert.
Eine Reform des gegenwärtigen Systems
der Alterssicherung muß sich deshalb an folgenden Maßstäben
messen lassen:
a) Gerechtigkeit zwischen den Generationen:
Die Alterssicherung muß dem Grundsatz der Gerechtigkeit zwischen
den Generationen Rechnung tragen. Die Generationen müssen füreinander
einstehen. Keine darf die andere über das rechte Maß
hinaus beanspruchen.
b) Beitragsäquivalenz: Der Grundsatz
der Beitragsäquivalenz fordert, daß Beiträge und
Leistungen einander entsprechen müssen. Wer hohe Vorleistungen
erbracht hat, soll im Alter viel bekommen, wer geringere Vorleistungen
erbracht hat, soll weniger bekommen. (Vorleistungsgerechtigkeit)
c) Verläßlichkeit und Vorhersehbarkeit:
Alterssicherung muß verläßlich sein. Wer für
das Alter vorsorgt und privat und gesetzlich Beiträge dafür
erbringt, darf um seine Leistungen nicht betrogen werden. Alterssicherung
darf auch nicht den Wechselfällen der politischen oder wirtschaftlichen
Lage ausgesetzt sein. Jeder und jede hat einen Anspruch darauf,
mit verläßlichen Rahmenbedingungen rechnen zu können.
Es ist eine Eigenart aller Alterssicherungssysteme, daß sie
auf Langfristigkeit angelegt sind: Ihnen geht es um Zukunftsvorsorge
für den Fall des Alters, der Erwerbsunfähigkeit oder des
Todes. Es ist Aufgabe des Staates, vorausschauend verläßliche
Rahmenbedingungen sowohl für öffentliche wie für
private und betriebliche Formen der Altersvorsorge zu schaffen.
Nur durch rechtzeitig vorgenommene Weichenstellungen läßt
sich das notwendige Vertrauen in das System der Alterssicherung
langfristig sichern. Insofern genügt es nicht, lediglich kurzfristige
Korrekturen vorzunehmen: Eine verläßliche Alterssicherung
muß so ausgestaltet sein, daß sie auf Dauer Bestand
hat und nicht mit jedem Regierungswechsel in Frage gestellt wird;
deshalb ist bei Reformvorhaben auf diesem Gebiet ein weitreichender
politischer Konsens erforderlich.
d) Die gesetzliche Alterssicherung ist angewiesen
auf die Solidarität von Erwerbstätigen und Rentnern,
von Arbeitenden und Arbeitslosen, von Alleinlebenden und Familien
mit Kindern. Diese Solidarität muß alle (!) Erwerbstätigen
in die Verantwortung einbeziehen. Bei einer so fundamentalen Frage
wie der solidarischen Sicherung im Alter dürfen auf Dauer nicht
ganze Bevölkerungsteile ausgeklammert bleiben, auch wenn gerade
der Zeitpunkt der Einbeziehung weiterer Gruppen von Versicherten
in die gesetzliche Rentenversicherung vor dem Hintergrund der demographischen
Entwicklung besonders bedeutsam ist.
e) Solidarität und Subsidiarität
dürfen nicht getrennt werden. Das Subsidiaritätsprinzip
fordert, daß jeder und jede aus eigener Kraft und Initiative
das leistet, was er oder sie leisten kann. Jeder sollte in der Lage
sein, selber für sein Alter vorzusorgen. Solidargemeinschaft
und Gemeinwesen fällt die Aufgabe zu, die Möglichkeit
und Fähigkeit zur Eigenverantwortung und eigenverantworteten
Vorsorge zu fördern. Eine solche Stärkung der Selbstvorsorgemöglichkeiten
im Sinne echter Subsidiarität schließt eine Lastenverschiebung
auf die schwächeren Schultern und eine Überforderung der
Schwächeren aus. Die Schwächeren benötigen Hilfen
und keine zusätzlichen Lasten. Es geht um die unterstützende
Aktivierung des einzelnen und nicht um den Abbau von Solidarität.
f) Eigenvorsorge: Die Solidargemeinschaft
der Versicherten kann Alterssicherung nur bis zu einer bestimmten
Höhe gewährleisten. Wenn es darum geht, den Lebensstandard
im Alter zu erhalten und einen sozialen Abstieg im Rentenfall zu
vermeiden, muß es neben der gesetzlichen Alterssicherung weitere
zusätzliche Sicherungen geben. Es müssen geeignete institutionelle
Grundlagen für weitere ñ kapitalgedeckte ñ
Formen der Alterssicherung geschaffen und die insoweit bereits bestehenden
Einrichtungen und Möglichkeiten systematisch ausgebaut werden.
Gerade bei einer Begrenzung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung
bekommen betriebliche Alterssicherung und Eigenvorsorge eine besondere
Bedeutung. Die Situation der Schwächeren, die große Mühe
haben, einen ohnehin niedrigen Lebensstandard im Alter zu erhalten,
muß hier mit im Blick sein.
g) Erhaltung der Lebensverhältnisse
im Alter: Das Verständnis des modernen Sozialstaates zielt
darauf, daß bei Eintritt des Versorgungsfalles kein gravierender
sozialer Abstieg erfolgt. So soll auch zwischen der Lebensführung
in der Erwerbsphase und der in der Rentenphase kein Bruch entstehen.
Wer in den Ruhestand eintritt, sollte an seine bisherigen Lebensverhältnisse
anknüpfen können und eine auskömmliche Sicherung
haben. Die Systeme der Alterssicherung (gesetzliche Alterssicherung,
Eigenvorsorge und betriebliche Vorsorge) müssen deshalb insgesamt
so gestaltet sein, daß dieses Ziel erreicht werden kann.
h) Eigenständigkeit der persönlichen
Sicherung: Jeder und jede Erwerbstätige sollte eine eigenständige
Rentenversicherungsbiographie und damit eine eigenständige
Sicherung im Alter haben. Unabhängig von ihrem Familienstand
oder ihrer Lebenssituation sollten Mann und Frau eigene Anwartschaften
- während der Ehe in gleicher Höhe - erwerben.
- Auf die Zukunft vorbereiten
a) Grundsätzliches Festhalten am
System einer obligatorischen Alterssicherung: Gerade wenn man
das Ziel verfolgt, das bisherige System der gesetzlichen Alterssicherung
leistungsfähig zu erhalten, ist es notwendig, an der gegenwärtigen
Systementscheidung zugunsten einer allgemeinen und obligatorischen
Alterssicherung in Deutschland festzuhalten. Alterssicherung bedarf
in einer sozialstaatlich verfaßten Gesellschaft eines obligatorischen
Versicherungssystems mit Ausgleich besonderer sozialer Belastungen.
Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen wie der absehbaren
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann eine angemessene Kernsicherung
für die große Mehrheit der Bevölkerung nur von einer
obligatorischen und solidarischen Sozialversicherung erwartet werden.
Individuelle Vorsorge dagegen und familiäre Selbsthilfe können
für die große Mehrheit nur eine ergänzende, wenn
auch immer wichtiger werdende Funktion bei der Abdeckung der großen
regelmäßigen Risiken haben. Die Umlagefinanzierung hat
sich über unterschiedliche gesellschaftliche, politische und
wirtschaftliche Lagen hinweg im Großen und Ganzen bewährt.
Eine grundlegende Umstellung von diesem Finanzierungsmodus in einen
anderen ñ kapitalgedeckten ñ wäre nicht nur ordnungspolitisch
problematisch, sondern würde auch gravierende Anpassungsprobleme
mit sich bringen.
b) Versicherungspflicht für alle
Erwerbstätige: Das gegenwärtige System stellt ñ
einem traditionellem Bild von Schutzbedürftigkeit folgend ñ
einseitig auf die abhängige Erwerbstätigkeit ab. Diese
Blickrichtung hat angesichts vielfältiger neuer Formen zwischen
klassischer Selbständigkeit und abhängiger Erwerbstätigkeit
seine ursprüngliche Legitimationskraft verloren. In der modernen
Gesellschaft sichern die Erwerbsarbeit und das Einkommen die wirtschaftliche
Lebensgrundlage. Dies gilt für jede Form der beruflichen Tätigkeit,
ob sie abhängig erfolgt oder nicht. Da die elementaren Risiken,
die traditionell von der gesetzlichen Rentenversicherung abgedeckt
werden, jeden treffen (können), ohne für den einzelnen
abschätzbar zu sein, ist eine alle umfassende gesetzliche Kernsicherung,
die dem Grundsatz gemeinsamer Vorsorge für das Alter verpflichtet
ist, angemessen. Eine Versicherungspflicht für alle Erwerbstätigen
bedeutet auch eine Verbreiterung der Finanzierungsbasis.
Bei einer Ausweitung der Versicherungspflicht
auf alle Erwerbstätigen sind die Probleme existierender z. B.
berufsständischer Pflicht-Alterssicherungssysteme wie auch
die beamtenrechtlichen Vorsorgesysteme zu berücksichtigen.
Langfristig und unter Wahrung des geltenden Vertrauensschutzes sollten
auch Beamte künftig in die Solidargemeinschaft der Versicherten
einbezogen sein.
c) Eigenständige Sicherung für
jede Frau und jeden Mann: Die Ausweitung der Versicherungspflicht
auf alle muß zugleich mit der Lösung der Frage einer
eigenständigen Rentenbiographie für Frauen verbunden werden.
Frauen leisten mit der Geburt und Versorgung von Kindern, aber auch
mit der Pflege von Angehörigen einen auch gesellschaftlich
höchst bedeutsamen Beitrag für die weitere Entwicklung
des Gemeinwesens. Die Erziehung von Kindern durch die Eltern ist
zugleich eine für die Gesellschaft grundlegende Aufgabe. Beides
muß sich auch in der gesetzlichen Ausformung der Alterssicherungssysteme
niederschlagen. Dabei ist sicherzustellen, daß in Perioden
der Kindererziehung die Beitragszahlung durch den Staat übernommen
wird.
Dennoch erhalten Frauen in vielen Fällen
immer noch keine eigenständige soziale Sicherung, die ihren
besonderen Biographien und einem gewandelten Rollenverhalten Rechnung
trägt. Eine Neuregelung der Versicherungspflicht sollte deshalb
auch die Einführung einer je eigenständigen sozialen Sicherung
und einer persönlichen Rentenbiographie umfassen. Dies ist
vom Verständnis der menschlichen Person her zu begründen.
Die Person ist Ursprung, Träger und Ziel allen gesellschaftlichen
Lebens, auch der Wirtschaftstätigkeit und ebenso der Vorsorge
gegen die Hauptrisiken des Lebens. Männer und Frauen sind gleichberechtigt
und gleichgestellt.
Frauen haben in der Regel geringere Einkünfte
als Männer und arbeiten in vielen Fällen in Teilzeitarbeit
oder sind alleinerziehend. Frauen haben in solchen Fällen oftmals
nicht die notwendige Ressourcen für eine eigenständige
Sicherung. Auch hier wird deutlich, wie notwendig eine Verbesserung
ihrer Chancen ist.
Der sozialen Einheit in Ehe und Familie
entspricht es, wenn die aus Erwerbs- und Familientätigkeit
resultierenden Rentenansprüche beiden Partnern für die
Dauer ihrer Ehe zu gleichen Teilen gutgeschrieben werden Bei Ehescheidungen,
deren Zahl in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen hat,
werden die Versorgungsansprüche in der Regel schon heute aufgeteilt,
die sich ergebende Rente liegt im Normalfall noch unter der Witwenrente.
d) Verläßlichkeit der bisherigen
Hinterbliebenenversorgung: Neuregelungen zur Hinterbliebenenversorgung
müssen eheliche Lebensentwürfe unangetastet lassen, die
bereits vor dem Inkrafttreten einer entsprechenden Reform und damit
auch im Vertrauen auf die derzeit geltenden Bestimmungen realisiert
wurden. Dies gilt insbesondere für die Hinterbliebenenversorgung.
Die gegenwärtige Ausgestaltung des Rechts der Hinterbliebenenrenten
ist alles in allem durchaus von Augenmaß gekennzeichnet. Änderungen
würden vor allem Frauen treffen, die vielfach Beiträge
in Kindererziehung und gesellschaftliche Arbeit erbracht haben.
Es muß vermieden werden, daß die entsprechenden Lebensentwürfe
durch neue Regelungen entwertet und einer bestimmten Gruppe Sonderlasten
auferlegt werden. Die Einführung einer eigenständigen
Sicherung von Frauen kann daher zunächst nur für junge
Frauen erfolgen. Für eine Umstellung der Hinterbliebenensicherung
sind ausreichende Übergangsfristen nötig, in denen zwei
Systeme gleichzeitig bestehen.
e) Die Aufnahme eines Korrekturfaktors
in die Rentenformel: Die Lasten bei der Sicherung im Alter müssen
zwischen den Generationen gerecht verteilt werden. Die Tatsache,
ob eine Generation viele oder wenige Kinder bekommen hat, hat Folgen
für das System der Alterssicherung. Werden immer weniger Kinder
geboren, entsteht ein Gerechtigkeitsproblem. Eine Generation mit
einer geringeren Nachkommenschaft kann nicht die gleichen Renten
in gleicher Höhe beziehen wie eine Generation mit zahlreicher
Nachkommenschaft, vor allem dann nicht, wenn eben diese nachfolgende
Generation nicht unverhältnismäßig hohe Beiträge
zur Sicherung der nicht erwerbstätigen Generation aufbringen
soll.
Veränderungen im Verhältnis von
Rentenbeziehern und Beitragszahlern erfordern einen Ausgleich, der
durch einen besonderen Faktor in der Rentenformel berücksichtigt
werden sollte. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf das Rentenniveau
zu erreichen sein. Dieser muß allerdings mehr umfassen als
nur die Lebenserwartung. Er muß neben der Lebenserwartung
auch die Geburtenentwicklung und andere relevante Faktoren einbeziehen.
Die Rentenformel muß die Entwicklung der Relation von Beitragszahlern
und Rentenbeziehern berücksichtigen und für eine Verteilung
der Last auf Rentner, Beitragszahler und Steuerzahler sorgen. Vor
dem geschilderten Hintergrund würde eine Entscheidung, die
vorrangig darauf setzt, die Finanzierungsprobleme zu gegebener Zeit
"irgendwie" durch eine Erhöhung der Beitragssätze aufzufangen,
nicht nur eine schwere Belastung des Arbeitsmarktes darstellen und
einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft ausstellen. Sie würde
auch das Gebot der Generationengerechtigkeit nachhaltig verfehlen.
Ebenso wenig dürfen die Beiträge festgeschrieben und die
Probleme nur bei den Rentnern abgeladen werden.
f) Renteneintrittsalter: Die Rentenbezugsdauer
spielt für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung
eine nicht unbedeutende Rolle. Aus diesem Grunde darf das Renteneintrittsalter
kein Tabu sein. Der Trend eines ständig sinkenden Durchschnittsalters
beim Renteneintritt darf sich - bei aller Rücksichtnahme auf
den Arbeitsmarkt - keinesfalls fortsetzen. Versicherungsmathematische
Abschläge bei einem früheren Rentenbezug sind ebenso ein
Gebot von Vorleistungsgerechtigkeit wie von rentenpolitischer Weitsicht.
g) Gewährleistung einer Mindestsicherung:
In ihrem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage
in Deutschland "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit"
(1997) haben die beiden Kirchen betont, der Sozialstaat sei "verpflichtet,
jedem Menschen in Deutschland ein menschenwürdiges Leben zu
ermöglichen." (Ziff. 179) Die vorhandenen Systeme der sozialen
Sicherung müßten deshalb ihren Aufgaben so weit nachkommen,
daß die in ihnen gesicherten Menschen nicht der Armut anheim
fallen. Sie müssen "armutsfest" sein. Eine ausreichende Sicherung
zu erreichen wird in einer Zeit, in der das erzielbare Einkommen
während der Erwerbstätigkeit in nicht wenigen Fällen
unzureichend ist, immer wichtiger.
In der gegenwärtigen Diskussion werden
im Wesentlichen vier unterschiedliche Wege genannt, die darauf abzielen,
Altersarmut zu vermeiden:
- die "Grundrente": Eine "Grundrente", die
voll aus Steuermitteln finanziert wird, ist grundsätzlich zu
unterscheiden von einer Kernsicherung im hier gebrauchten Sinn.
Eine "Grundrente" ist kein geeigneter Weg zur ausreichenden Sicherung
im Alter. Sie verfehlt den Grundsatz der Vorleistungsgerechtigkeit.
Ihre Finanzierbarkeit ist labil, denn es besteht die Gefahr, daß
ihre Höhe von der jeweiligen Kassenlage der öffentlichen
Haushalte abhängig gemacht wird.
- die Sozialhilfe als letztes Netz: Die
Sozialhilfe ist sicherlich ein geeignetes Mittel zur Vermeidung
von Altersarmut. Gegenwärtig nimmt sie diese Rolle auch wahr.
Allerdings entsteht dann, wenn eine obligatorische Sicherung für
alle gefordert wird, ein Problem: Menschen, die zur Teilnahme an
einem System sozialer Sicherung gezwungen werden, erhalten in bestimmten
Fällen bei Eintritt des Versicherungsfalls keine ausreichende
Rente und werden auf die Sozialhilfe verwiesen. Es kommt hinzu:
Die Sozialhilfe würde als erklärte Mindestsicherung gegen
Altersarmut zur Regelsicherung.
- das Auffüllen von Renten in den Fällen,
in denen mit den erworbenen Rentenanwartschaften kein ausreichendes
Rentenniveau erreicht wurde: Dies ist ebenfalls ein geeigneter Weg.
Allerdings ist hier in jedem Fall auf die Bedürftigkeit im
Einzelfall zu achten, damit am Schluß nicht doch eine zu geringe
(oder auch zu hohe) Rente steht.
- das Auffüllen von Beiträgen:
Hier wird davon ausgegangen, daß jeder und jede bei Einzahlung
der vollen Beiträge im Alter eine auskömmliche Rente erhält,
die zumindest über Sozialhilfeniveau liegt. In den Fällen,
in denen Menschen mit sehr geringem Einkommen, schicksalhaft unterbrochenen
Versicherungsbiographien, Arbeitslose und Kindererziehende zeitweise
keine Beiträge in ausreichender Höhe einzahlen können,
hilft der Staatshaushalt durch das Auffüllen der Beiträge.
Dieser Weg ist der wohl sinnvollste. Er ist geeignet, Altersarmut
zu vermeiden. Allerdings muß auch hier der Gesichtspunkt der
Bedürftigkeit in geeigneter Weise Beachtung finden.
Bei einer Mindestsicherung ist zu beachten,
daß sie keine falschen Anreize setzt und die Möglichkeit
einer eigenverantwortlichen Vorsorge für das Alter nicht relativiert.
Es darf nicht übersehen werden, daß ein Element des Gerechtigkeitsproblems
darin besteht, ob die gesetzlich geregelte Altersvorsorge auch geeignet
ist, aufs Ganze betrachtet zumindest eine bedarfsgerechte Mindestsicherung
bereitzustellen: So wie bei der Reform die Frage der Gerechtigkeit
zwischen den Generationen nicht ausgeblendet werden darf, darf die
des Ausgleichs zwischen den Leistungsfähigeren und den sozial
Schwachen nicht ausgeklammert werden.
- Ergänzungssysteme der solidarischen Alterssicherung
Aufgrund der vorgeschlagenen Maßnahmen
ist zu erwarten, daß die Steigerungen der Renten hinter denen
der Erwerbseinkommen zurückbleiben werden, wenn die künftige
erwerbstätige Generation nicht einseitig belastet werden soll.
Deshalb ist der weitere Ausbau von Ergänzungssystemen neben
der Gesetzlichen Rentenversicherung unumgänglich, um dem Ziel
der Lebensstandardsicherung auch in Zukunft möglichst nahe
zu kommen. Hier geht es vor allem um die berufsbezogene Sicherung
und die private Eigenvorsorge.
In der internationalen Diskussion um die
Gestaltung der Alterssicherung wird zwischen der solidarischen Kernsicherung
(1. Säule), der betrieblichen Sicherung (2. Säule) und
der privaten Eigenvorsorge (3. Säule) unterschieden. In vielen
Ländern machen berufliche und private Formen der Altersvorsorge
einen wesentlich größeren Anteil an der gesamten Altersvorsorge
aus als in Deutschland. Vor allem die zweite Säule, die berufsbezogene
Sicherung, ist (mit Ausnahme der berufsständischen Versorgungswerke
für die freien Berufe und der Zusatzversorgungskassen im öffentlichen
Dienst) in Deutschland wenig entwickelt. Veränderte steuerliche
Auflagen des Gesetzgebers und Auslegungen der Rechtsprechung haben
eine starke Einschränkung der Zusagen für die betriebliche
Altersvorsorge bewirkt. Hinzu kommt, daß die hohen Beitragssätze
zur gesetzlichen Rentenversicherung wenig Spielraum für Eigenvorsorge
lassen.
Im Bereich der ergänzenden Alterssicherung
ist Augenmaß hinsichtlich des Verhältnisses von staatlicher
Regulierung und individueller bzw. betrieblicher Gestaltungsfreiheit
in besonderem Maße gefordert. Grundsätzlich sollte es
den Menschen freigestellt sein, in welcher Weise sie unter Berücksichtigung
ihrer beruflichen Umstände für ihr Alter vorsorgen. Auch
die Betriebe sollten in der Gestaltung ihrer Vorsorgemaßnahmen
möglichst wenig eingeschränkt werden. Aufgaben des Staates
ergeben sich hier vor allem in zweierlei Hinsicht:
a) Private Vorsorge
Der privaten Eigenvorsorge kommt eine zunehmende
Bedeutung zu. Sie muß verstärkt werden. Kapitalfinanzierte
Formen der Altersvorsorge ergänzen nicht nur die Sicherung
des Lebensstandards im Alter, sie geben auch den einzelnen mehr
Freiheit und Flexibilität. Daher ist es um so wichtiger, durch
strukturelle Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung einen
entsprechenden Raum für zusätzliche Eigenvorsorge zu schaffen.
Nicht wenige Erwerbstätige haben schon seit Jahren damit begonnen,
eine private Eigenvorsorge aufzubauen. Jede Förderung dauerhafter
Vermögensbildung ist auch ein Beitrag zu Alterssicherung. Allerdings
erhöht eine zusätzliche kapitalfinanzierte Altersvorsorge
wirtschaftlich gesehen die Beitragsbelastung, da neben den Beiträgen
zur kapitalgedeckten Alterssicherung auch die Beiträge zur
Gesetzlichen Rentenversicherung aufgebracht werden müssen.
Kapitalgedeckte Altersvorsorge ist auch nicht ohne Risiken, denn
Kurse und Kapitalrenditen der Anlage schwanken. Langfristig gute
Anlagemöglichkeiten sind nicht garantiert.
Vor allem jüngere Menschen neigen dazu,
die Bedeutung der Altersvorsorge zu unterschätzen. Je früher
sie aber mit eigener Vorsorge für das Alter beginnen, desto
höher ist der kapitalbildende Effekt von Vorsorgemaßnahmen.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, unter bestimmten Voraussetzungen
und in beschränktem Umfange eine private Vorsorgepflicht der
Erwerbstätigen gesetzlich vorzusehen. Eine solche Vorsorge
müßte so gestaltet sein, daß der einzelne selbst
entscheiden kann, in welchen Bereichen - privat oder betrieblich
- er vorsorgt. Die steuerliche Förderung von Altersvorsorgemaßnahmen
müßte ausgebaut werden. Die bewußte Stärkung
von privater Vorsorge ist ohne steuerliche Förderung nicht
möglich. Für Geringverdienende müßte eine zusätzliche
staatliche Förderung bis zu einer bestimmten Höhe vorgesehen
werden.
b) Betriebliche Vorsorge
Die betriebliche Alterssicherung als zweite
Säule muß künftig eine größere Bedeutung
erlangen. Die Betriebe müssen zur Wahrnehmung ihrer Mitverantwortung
für die Alterssicherung ihrer Beschäftigten angehalten
werden. Dies entspräche der Einsicht, daß Alterssicherung
eine gemeinsame Aufgabe in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat ist.
Es sollten daher Maßnahmen getroffen werden, die den Betrieben
ein Engagement bei der betrieblichen Mitverantwortung für die
Alterssicherung dringend nahelegen. Die steuerlichen Rahmenbedingungen
müssen so ausgestaltet werden, daß die Betriebe - unter
ihnen vor allem auch die klein- und mittelständischen Betriebe
- ihre Mitverantwortung auch wahrnehmen können. Dabei ist die
Gesamtabgabenlast der Betriebe und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit
im Blick zu halten. Betriebliche Vorsorge funktioniert in der Regel
gut bei qualifizierten Personen, die in einem Großbetrieb
mit festem Normalarbeitsvertrag arbeiten. Niedrigqualifizierte,
Arbeitnehmer in mittelständischen Betrieben und Kleinbetrieben
und vor allem auch weibliche Arbeitnehmer haben oftmals nicht die
Möglichkeit zum Aufbau einer betrieblichen Komponente ihrer
Alterssicherung. Daher ist es wichtig, durch Anreize vor allem die
diesbezüglich klassisch benachteiligten Gruppen beim Aufbau
ihrer betrieblichen Altersvorsorge nachdrücklich zu unterstützen.
Es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten.
Eine Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge bietet den Betrieben
und den Begünstigten die Möglichkeit, betriebliche Leistungen
wie zum Beispiel Überstunden, Gewinnbeteiligungen, Weihnachtsgeld
usw. im Rahmen betrieblicher Vereinbarungen einzubringen. Eine solche
Flexibilisierung der betrieblichen Altersvorsorge geht bewußt
davon aus, daß alle angewachsenen Zusagen bei einem Betriebswechsel
mit dem Arbeitnehmer auf den neuen arbeitgebenden Betrieb übergehen
beziehungsweise daß die erworbenen Anwartschaften nach Auflösung
eines Arbeitsverhältnisses der oder dem Begünstigten in
voller Höhe erhalten bleiben.
c) Die Verknüpfung von privater
und betrieblicher Vorsorge im Investivlohn
Die beiden Säulen der betrieblichen
und der privaten Altersvorsorge müssen im Zusammenhang gesehen
werden. Elemente der Eigenvorsorge und der beruflichen Vorsorge
lassen sich in der Form des Investivlohns verbinden. Bei der Vermögensbildung
im Produktivvermögen gibt es in Deutschland noch erhebliche
Probleme. Im Gemeinsamen Wort der Kirchen "Für eine Zukunft
in Solidarität und Gerechtigkeit" heißt es dazu: "Die
Kirchen setzen sich (...) seit langem für eine gerechtere und
gleichmäßigere Verteilung des Eigentums und nicht zuletzt
für eine verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer am Produktivvermögen ein. Das Ziel einer sozial
ausgewogeneren und gerechteren Vermögensverteilung in Deutschland
ist bei weitem nicht erreicht." (Ziff. 216)
Zu denken ist hierbei an Modelle, die zwischen
den Sozialpartnern vereinbart werden und die betriebliche Sozialleistungen
und/oder Lohn- und Gehaltserhöhungen in Beteiligungen am Unternehmensvermögen
umzuwandeln. Auch Zeitguthaben aus übertariflichen Arbeitsleistungen
lassen sich so honorieren. Gegenüber der Vermögensbildung
in der Form von Produktivvermögen gibt es in Deutschland noch
erhebliche Vorbehalte. Ohne entschlossene Fördermaßnahmen
wird sich jedoch die Vermögenskonzentration in der Bundesrepublik
fortsetzen. Aus diesem Grund soll die Beteiligung am Produktivvermögen
mit Blick auf alle Kreise der Bevölkerung aktiv betrieben werden.
- Eine zukunftsweisende Reform ist möglich - Ausblick
Alle weiteren Schritte einer Reform der
Alterssicherungssysteme - unter Einbeziehung der Pensionssysteme
- müssen von dem Mut zu Wahrheit und Klarheit geleitet sein.
Nur so läßt sich sicherstellen, daß die Kalkulierbarkeit
der Altersvorsorge gewahrt bleibt und die knappen Güter "Vertrauen"
und "Solidarität" nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Eine zukunftsweisende Reform der Alterssicherung,
die den eingangs geschilderten Entwicklungstrends gerecht wird,
ist möglich. Gelungene Reformen in europäischen Nachbarländern
mit vergleichbarer Tradition der Sozialversicherungssysteme haben
deutlich gemacht, daß in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen
die Lasten bei der Alterssicherung zwischen den beteiligten Seiten
besser und gerechter verteilt werden können und den Herausforderungen
der Zukunft besser entsprochen werden kann.