AK-Magazin Nr. 15 - September 2000
Inhalt:
Leitartikel: Geschafft!
von Wolfgang Becker-Freyseng
AVR-Kommentar: Die neuen Härtefallklauseln
Text und Erläuterungen von Wolfgang Bartels
Letztmals??
Geschafft!
Ein hörbares Aufatmen ging durch die Reihen der
Dienstnehmer- und Dienstgebervertreter der Arbeitsrechtlichen
Kommission. Mit eindeutiger Mehrheit war die Übernahme der
BAT- Vereinbarungen des Öffentlichen Dienstes gelaufen. Eine
Neuauflage der Härtefallklausel (HFK) ermöglicht von
Existenzsorgen geplagten Einrichtungen den Notausstieg. Hatten wir
das nicht schon mal?
Das Neue an diesem Ergebnis: Es gab kein Paket, kein Junktim
mehr. Alle Bestandteile der Tarifeinigung wurden einzeln und im
Vertrauen auf die gegenseitige Verlässlichkeit abgestimmt.
Das war anders. Bisher beherrschten Misstrauen, Zwang und Druck
das Geschäft.
Fast alle Diözesanen Arbeitsgemeinschaften hatten in
Fulda als BAG-MAV die Dienstnehmerseite aufgefordert, einer
Neuauflage der Härtefallklauseln nicht mehr zuzustimmen. Doch
die Diskussion ergab: Ein Zwangspaket "Tarifabschluss mit
Härtefallklausel" hatte keine Mehrheit. Ein Tarifabschluss
ohne HFK auch nicht. Es brannte lichterloh - und es drohte die
Gefahr, dass ein erfolgloses Auseinandergehen der Kommission deren
eh schon ramponiertes Renommee gleich mitverbrannte.
Doch das Unwahrscheinlichste brachte die Lösung:
Vertrauen in die beiderseitige Vernunft. Das könnte ein
Kapital sein, das bei sorgfältiger Pflege Zinsen trägt.
Die lange Laufzeit der Vergütungsvereinbarungen im
Öffentlichen Dienst (bis 31.10.2002) läßt eine
Wiederholung des alljährlichen Tarifspektakels kaum mehr zu.
Dafür gibt es andere Probleme. Man kann davon ausgehen, dass
die soziale Landschaft, inbesondere die der caritativen Dienste
und Einrichtungen, am Ende dieser Laufzeit nicht mehr die gleiche
sein wird wie bisher. Zu krass sind die Umwälzungen, die sich
andeuten.
Die kommunalen Krankenhäuser werden wohl als erste
notgedrungen dem BAT Ade sagen müssen. Die ÖTV hat
bereits mit etlichen privaten Krankenhausträgern vom BAT
abweichende Tarifvereinbarungen ausgehandelt, quasi als Probelauf.
Und auch die Caritas wird sich wohl in den nächsten Jahren
Bereich für Bereich vom BAT verabschieden müssen, falls
der dann nicht mehr relevant für vergleichbare Einrichtungen
sein sollte.
Woher Ersatz kommen soll, wie Verbindlichkeit erreicht wird,
wie künftig (re-)finanziert wird - das alles steht noch in
den Sternen. Wir werden viel konstruktive Geduld brauchen, eine
noch nicht einmal erkennbare Vision in handhabbare Praxis
umzugestalten. Da hilft keine Schlichtung (so wir eine
hätten), sondern nur Vernunft, Geduld und Vertrauen. Geb's
Gott, dass die AK damit ausreichend gesegnet ist.
wbf
Der AVR-Kommentar:
Die novellierten Härtefallklauseln 2000
von Wolfgang
Bartels
Der Beschluss-Text:
"XVII Härtefallklauseln zur
Vergütung für den Zeitraum vorn 01. April 2000 bis 31.
Oktober 2002
1. Härtefallklausel zur
Vergütung vom 01. April 2000 bis zum 31. August
2001
a) Ist eine Einrichtung im Sinne der
Mitarbeitervertretungsordnung in ihrer Existenz gefährdet, z.
B. durch drohende Insolvenz, Schließung,
Teilschließung oder Überschuldung, kann zur Sicherung
von Arbeitsplätzen durch eine Dienstvereinbarung mit der
Mitarbeitervertretung für die Zeit vom 01. April 2000 bis zum
31. August 2001 von der Vergütungserhöhung in folgendem
Umfang ganz oder teilweise abgewichen werden:
aa) keine Anwendung des Abschnitts
IIla der Anlage 1 zu den AVR (Einmalzahlung 2000);
bb) keine Erhöhung der
Vergütungsbeträge vom 01. August 2000 (für
Auszubildende ab 01. April 2000) bis zum 31. August 2001 um 2,0
Prozent.
Die Steigerung des Bemessungssatzes
von 86,5 Prozent auf 87,0 Prozent ab 01. August 2000 und auf 88,5
Prozent ab 01. Januar 2001 für die Einrichtungen, für
die § 2a Allgemeiner Teil AVR Anwendung findet, kann nicht
Gegenstand der Dienstvereinbarung sein. Wird von der linearen
Erhöhung der Vergütungsbeträge um 2,0 Prozent
abgewichen, ist diese Steigerung des Bemessungssatzes auf der
Grundlage der bis zum 31. März 2000 geltenden
Vergütungstabellen und Beträgen zu berechnen.
b) Eine Dienstvereinbarung nach dieser
Regelung ist zulässig, wenn
1. der Dienstgeber die
Mitarbeitervertretung in schriftlicher Form umfassend über
die wirtschaftliche Notlage informiert und die Notwendigkeit der
Anwendung der Härtefallklausel begründet; dabei sind
folgende Informationen schriftlich vorzulegen:
aa) Die testierte Bilanz mit Gewinn-
und Verlustrechnung des abgeschlossenen Wirtschaftsjahres (bei
nicht zur Bilanzierung verpflichteten Einrichtungen entsprechende
aussagefähige Unterlagen), den Wirtschaftsplan des laufenden
Jahres, die aktuellen Ist-Zahlen,
bb) die Begründung der
existenzgefährdenden Situation, die Höhe der
Einsparungen für den gesamten Zeitraum, eine Darlegung, dass
die Anwendung der Härtefallklausel geeignet ist, die
Existenzgefährdung zu mindern und andere Maßnahmen
nicht zu demselben Erfolg führen,
cc) die Darlegung der
organisatorischen und finanziellen Maßnahmen, die angewandt
werden, um die Einrichtung dauerhaft aus der
Existenzgefährdung herauszuführen;
2. ein Wirtschaftsprüfer die vom
Dienstgeber zu bb) vorgelegten Informationen auf ihre Richtigkeit
überprüft und die Eignung der Aussetzung der
Vergütungserhöhung zur Abwendung der Existenzbedrohung
bewertet;
3. der Dienstgeber den Text der
Dienstvereinbarung und die Zahl der betroffenen Mitarbeiter der
Arbeitsrechtlichen Kommission über den
Geschäftsführer (Deutscher Caritasverband, Karlstr. 40,
79104 Freiburg) zur Kenntnis gibt.
2.
Härtefallklausel zur Vergütung vom 01. September 2001
bis zum 31. Oktober 2002
a) Ist eine Einrichtung im Sinne der
Mitarbeitervertretungsordnung in ihrer Existenz gefährdet, z.
B. durch drohende Insolvenz, Schließung,
Teilschließung oder Überschuldung, kann zur Sicherung
von Arbeitsplätzen durch eine Dienstvereinbarung mit der
Mitarbeitervertretung für die Zeit vom 01. September 2001 bis
zum 31. Oktober 2002 von der Vergütungserhöhung um 2,4
Prozent ganz oder teilweise abgewichen werden.
Die Steigerung des Bemessungssatzes von 88,5 Prozent auf 90,0
Prozent ab 01. Januar 2002 und auf 88,5 Prozent ab 01. Januar 2001
für die Einrichtungen, für die § 2a Allgemeiner
Teil AVR Anwendung findet, kann nicht Gegenstand der
Dienstvereinbarung sein. Wird von der linearen Erhöhung der
Vergütungsbeträge um 2,4 Prozent abgewichen, ist diese
Steigerung des Bemessungssatzes auf der Grundlage der bis zum 31.
August 2001 geltenden Vergütungstabellen und Beträgen zu
berechnen.
b) Eine Dienstvereinbarung nach dieser
Regelung ist zulässig, wenn
1. der Dienstgeber die
Mitarbeitervertretung in schriftlicher Form umfassend über
die wirtschaftliche Notlage informiert und die Notwendigkeit der
Anwendung der Härtefallklausel begründet; dabei sind
folgende Informationen schriftlich vorzulegen:
aa) Die testierte Bilanz mit Gewinn-
und Verlustrechnung des abgeschlossenen Wirtschaftsjahres (bei
nicht zur Bilanzierung verpflichteten Einrichtungen entsprechende
aussagefähige Unterlagen), den Wirtschaftsplan des laufenden
Jahres, die aktuellen Ist-Zahlen,
bb) die Begründung der
existenzgefährdenden Situation, die Höhe der
Einsparungen für den gesamten Zeitraum, eine Darlegung, dass
die Anwendung der Härtefallklausel geeignet ist, die
Existenzgefährdung zu mindern und andere Maßnahmen
nicht zu demselben Erfolg führen,
cc) die Darlegung der
organisatorischen und finanziellen Maßnahmen, die angewandt
werden, um die Einrichtung dauerhaft aus der
Existenzgefährdung herauszuführen;
2. ein Wirtschaftsprüfer die vom
Dienstgeber zu bb) vorgelegten Informationen auf ihre Richtigkeit
überprüft und die Eignung der Aussetzung der
Vergütungserhöhung zur Abwendung der Existenzbedrohung
bewertet;
3. der Dienstgeber den Text der
Dienstvereinbarung und die Zahl der betroffenen Mitarbeiter der
Arbeitsrechtlichen Kommission über den
Geschäftsführer (Deutscher Caritasverband, Karlstr. 40,
79104 Freiburg) zur Kenntnis gibt."
Erläuterungen
Warum neue Härtefallklausel(n)
?
Die Diskussion um die Einführung der
Härtefallklausel für 1999 ist vielen noch in guter
Erinnerung. Argument der Befürworter war stets das Ringen um
den Erhalt eines grundsätzlich einheitlichen Tarifs für
alle Mitarbeiter/innen in sozial-caritativen Einrichtungen der
katholischen Kirche zwischen Rosenheim und Emden, Görlitz und
Freiburg. Ein wichtiges tarifpolitisches Ziel, um dessen Erhalt
uns viele andere Tarifparteien beneiden, sagen die einen.
Unsinn, sagen die anderen: Gerade durch die
Härtefallklausel zur Tarifanpassung wird die Tarifeinheit
aufgegeben und den Dienstgebern Appetit auf Mehr gemacht. Beweis:
Die fast selbstverständlich erscheinende Forderung in der
diesjährigen Tarifrunde: Nur mit einer Öffnungsklausel
über eine verzögerte Anpassung werden die neuen
Lohntabellen des BAT übernommen.
Aber in dieser Tarifrunde gibt es ein zusätzliches
Argument. Die weitere Anpassung der Tarifgehälter Ost an das
allgemeine Niveau. Diese vollzieht sich zunächst in weiteren
drei Schritten. Von jetzt 86,5% des Westniveaus auf 87% ab
1.8.2000, auf 88,5% am 1.1.2001 und auf 90% ab 1.1.02, insgesamt
eine weitere Steigerung der Ostgehälter um 3,5%.
Zusammen mit der eigentlichen Tariferhöhung steigen die
Gehälter in den Bistümern der neuen Bundesländer
damit innerhalb von 19 Monaten um 7,9%. Im Vergleich zu den
Lohnsteigerungen der letzten Jahre ist das deutlich
überdurchschnittlich und bringt - das sei nicht in Abrede
gestellt - viele Einrichtungen in den neuen Bundesländern in
eine schwierige Situation.
Zwei Stufen der Tariferhöhung,
zwei Härtefallklauseln
Neu ist zunächst, dass die Arbeitsrechtliche Kommission
zwei Öffnungsklauseln entsprechend den zwei Stufen der
Tariferhöhung verabschiedet hat. Die Arbeitsrechtliche
Kommission war sich einig, "Mitnahmeeffekte" vermeiden zu
müssen und die Anwendung der Klausel von der belegbaren
wirtschaftlichen Notwendigkeit abhängig machen zu
müssen. Damit sind Einrichtungsleitungen in jedem Fall
gezwungen, im Sommer 2001 neu zu verhandeln, auch wenn jetzt
für die erste Stufe bereits eine Dienstvereinbarung
abgeschlossen wird. Das erhöht die
Verhandlungsmöglichkeiten der Mitarbeitervertretung und den
Druck auf die Leitungen. Denn wer es innerhalb eines Jahres nicht
geschafft hat, durch den Lohnverzicht der Mitarbeiter/innen wieder
zu einer Konsolidierung zu kommen, wird wenig Zuversicht bei der
MAV finden, dass ihm dies innerhalb eines weiteren Jahres gelingen
wird. Umgekehrt können Einrichtungen, die nicht sicher sind,
ob sie den nächsten Schritt der abgestuften
Gehaltserhöhung mitgehen können, zunächst auf die
Anwendung der Öffnungsklausel verzichten und erst bei der
nächsten Stufe reagieren.
Daraus ergibt sich:
Keine Mitarbeitervertretung sollte sich dazu veranlasst
sehen, schon jetzt für beide Stufen der Gehaltserhöhung
eine Dienstvereinbarung abzuschließen.
Denn die Notwendigkeit der Inanspruchnahme der zweiten
Öffnungsklausel läßt sich im Regelfall mit der
erforderlichen Sicherheit heute noch nicht feststellen. Wer als
Dienstgeber heute bereits den Abschluss beider
Dienstvereinbarungen fordert, setzt sich dem Verdacht des
missbrauchst aus.
Inhaltliche Änderungen Generell kann man sagen, dass
die Öffnungsklausel 1999 aus Sicht der Mitarbeiter/innen in
ihrer Formulierung wenig Anlass zur Kritik gegeben hat. Sie hatte
die Hürde für eine Anwendung der Aussetzung der
Tariferhöhung sehr hoch gesteckt. Nur etwa 20
Rechtsträger haben mit ihren Einrichtungen von einer
Anwendung der Klausel Gebrauch gemacht. Das ist im Verhältnis
zu den Hunderten von Einrichtungen, für die die Regelungen
der AVR gelten, ein verschwindend geringer Prozentsatz.
Soweit inhaltlich Änderungen für notwendig
gehalten wurden, hatten diese eher den Charakter einer
verbesserten Lesbarkeit, Klarheit und Handhabung der Regelung. Im
einzelnen:
Anpassung Ost bleibt unberührt
Bei den Diskussionen um die inhaltliche Gestaltung der
Härtefallklausel war von vornherein klar: Die Anpassung der
Ost-Gehälter außerhalb der Tariferhöhung muss
unangetastet bleiben. Die Arbeitsrechtliche Kommission hätte
sich sonst zu recht dem Vorwurf ausgesetzt, die unter Kompromissen
ausgehandelte, längst überfällige Anpassung der
Gehälter an die inzwischen weitgehend ausgeglichenen
Lebenshaltungskosten im gesamten Tarifgebiet zu ignorieren.
Damit handeln sich Einrichtungen in den neuen
Bundesländern aber ein zusätzliches technisches Problem
ein, wenn sie von einer Härtefallklausel Gebrauch machen. Die
(offiziellen) Tabellen der Tarifvertragsparteien des BAT
differenzieren nicht zwischen Tariferhöhung und
Ost-Anpassung. Nimmt eine Einrichtung also eine
Härtefallklausel in Anspruch, so hat sie die Stufen der
Ost-Anpassung trotzdem zu durchlaufen und hat den finanziellen
Umfang der Aussetzung der Tariferhöhung aufgrund eines
besonderen, in den BAT-Tabellen nicht ausgewiesenen Betrages zu
errechnen.
Beispiele:
Eine Mitarbeiterin in Vergütungsgruppe 8 erhält
vor dem 1. August 2000 nach Anlage 3 zu den AVR (Ost) in der Stufe
1 eine Grundvergütung von 1.703,06 DM, ab 1.8.2000 dann
1.747,17 DM. Käme es in der Einrichtung zur Anwendung der
Härtefallklausel, bliebe die in dem Betrag (und im
Ortszuschlag/der allg. Zulage) enthaltene Anpassung Ost in
Höhe von 0,5 % erhalten, der Tabellenbetrag reduzierte sich
aber um die Vergütungserhöhung von 2,0 % (1.747,17 minus
2,0 % = 1.712,23 DM). Ein Betrag, der in den "offiziellen"
Tabellen nicht ausgewiesen ist.
Noch komplizierter wird es, wenn die Härtefallklausel
bei den ab dem 1.1.01 (88,5 %) oder den ab 1.1.02 (90 %)
maßgeblichen Beträgen angewandt wird.
Der im Beispiel genannten Mitarbeiterin stünde zum
letztgenannten Zeitpunkt nach Anlage 3 (Ost 90 %) eigentlich eine
Grundvergütung von 1.850,80 DM zu. Um z.B. den für die
Anwendung beider Öffnungsklauseln maßgeblichen Betrag
zu ermitteln, muss man den für 2002 maßgeblichen Betrag
zurückrechnen, also 1.850,80 DM abzüglich der Anpassung
durch beide Tariferhöhungen von 2,4 + 2,0 %, also 1.850,80 DM
- 4,4% = 1.772,79 DM
Ein zweites Beispiel für die Nutzung nur der zweiten
Härtefallklausel:
Dabei muss man von dem für 2002 maßgeblichen
Betrag zurückrechnen, also 1.850,80 DM minus 2,4 % der
letzten Tarifanpassung = 1.807,42 DM
Es wäre also falsch, auf der Basis des vorher
gültigen Betrages die Ostanpassung vorzunehmen und die
Tariferhöhung einfach wegzulassen. Der tariflich korrekte
Rechenweg verlangt zuerst die Berechnung der Tariferhöhung,
dann die Ostanpassung, und erst dann die Rückrechnung der
Tariferhöhung. Abweichungen im Rechengang führen zu
deutlichen Differenzbeträgen zu Lasten der betroffenen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! (Um diesem Problem zu begegnen,
hat die AK besondere, nicht als Bestandteil des Tarifs, sondern
als reine Arbeitshilfe zu verstehende Tabellen für
Einrichtungen (Ost) bei Anwendung der Öffnungsklausel
erarbeitet. Sie sind auf Anforderung zu erhalten.)
Aufgabe des Vorrangs anderer
Maßnahmen
Die Öffnungsklausel 1999 hatte unter Absatz (b) ihre
Anwendung noch davon abhängig gemacht, dass zu prüfen
sei, ob nicht organisatorische Maßnahmen, die
Einführung von Kurzarbeit, eine Stundung oder
Arbeitszeitreduzierung nach Abschnitt XVI zur Abwendung der
Existenzbedrohung führen könnten. In diesem Fall hatte
man diesen Maßnahmen einen Vorrang eingeräumt.
Die Diskussion bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat die
in dieser Regelung steckende Wertung nicht bestätigt. Die
Anordnung von Kurzarbeit oder eine - meist längerfristige --
Absenkung des aktuellen Lohnniveaus über den Abschnitt XVI
der Anlage 1 wird von den meisten Mitarbeiter/innen zu recht als
wesentlich einschneidender empfunden, als die vorübergehende
Aussetzung einer Tariferhöhung. Von der Änderungs- oder
Beendigungskündigung von Arbeitsverhältnissen im Sinne
einer "organisatorischen Maßnahme" ganz zu schweigen.
Problem Einrichtung /
Rechtsträger
Ein weiteres, jedoch nicht durch eine Änderung des
Textes gelöstes Problem bildete die Formulierung in Absatz
(a), wonach zur Beurteilung der Existenzbedrohung auf "die
Einrichtung im Sinne der Mitarbeitervertretungsordnung" abgestellt
wird. Beispiel: Ein in seiner Existenz nicht bedrohter
Rechtsträger mehrerer Einrichtungen stellt fest (oder
provoziert durch Kürzung von Zuschüssen), dass einer
seiner wirtschaftlich unselbständigen, aber im Sinne der MAVO
als eigenständige Einrichtung definierten "Betriebe" in
seiner Existenz bedroht ist. Oder anders ausgedrückt: Kann
der Auslöser für eine Anwendung der Öffnungsklausel
auch die unternehmerische (und damit von der MAV nicht angreifbare
Entscheidung) eines solventen Rechtsträgers sein, das (von
ihm selbst verursachte) Defizit einer seiner Einrichtungen auf
Kosten von deren Mitarbeiter/innen auszugleichen? Eine
hochbrisante Frage. Die AK hat darauf keine Antwort gefunden.
Sicherlich könnte man alternativ statt auf die
wirtschaftliche Situation der Einrichtung auf die Situation des
Rechtsträgers abstellen. Die Strukturen in den Einrichtungen
der katholischen Kirche sind aber bekanntermaßen so, dass
dann die Feststellung einer Existenzbedrohung kompliziert
wäre und ein Politikum würde. Denn das Ansehen der
Kirche, die sich in vielen Bereichen als "nicht
insolvenzfähige"- Körperschaft des öffentlichen
Rechts organisiert, stünde auf dem Spiel, einmal ganz
abgesehen von der rechtlich schwierigen Frage einer
"Durchgriffshaftung".
Bei einer tatsächlichen Änderung der Formulierung
wäre daher eher mit einem Verzicht auf die Anwendung der
Klausel zu rechnen. Rechtsträger hätten aber die
Möglichkeit, die betreffende Einrichtung wegen
Unwirtschaftlichkeit zu schließen und bestehende
Arbeitsverhältnisse ohne eine einrichtungsübergreifende
Sozialauswahl zu kündigen.
Also: Die Mitarbeiter/innen können dieses Problem
letztlich mangels Einflussmöglichkeit auf sogenannte
"unternehmerische Entscheidungen" nicht in ihrem Sinne
beeinflussen. Da es ihrem Interesse eher entsprechen dürfte,
über die Möglichkeit der Anwendung der
Härtefallklausel Kündigungen zu vermeiden, ist dieser
Punkt bewusst nicht neu geregelt worden. Man hat bei der
Überarbeitung auch davon abgesehen, Ungereimtheiten in der
Formulierung (Einrichtung durch (Teil-) Schließung in der
Existenz bedroht...) zu glätten. Hier ist eine offensive
Auslegung des Textes gefordert.
Entscheidend: Neuregelung in Absatz
b
Völlig neu gestaltet wurde die für die
Zulässigkeit der Klausel entscheidende Regelung in Absatz
(b). Geprägt ist sie von den Erfahrungen, die mit der
Härtefallklausel 1999 gemacht worden sind und der Auswertung
der Anregungen, die die Mitarbeiterseite der AK aus die
Diözesanen Arbeitsgemeinschaften erhalten hat:
- Die Rolle der Mitarbeitervertretungen in Fragen der
Information und Mitbeteiligung in wirtschaftlichen
Angelegenheiten muss gestärkt werden,
- ein Missbrauch der Klausel kann nur durch die
Einbeziehung von fachlichem Sachverstand Dritter und
- durch eine möglichst hohe Transparenz der
Regelungen auf Einrichtungsebene sowie eine
- grundsätzliche Meldepflicht an die AK erreicht
werden.
Eine Grenze, die der AK durch die
Mitarbeitervertretungsordnungen der Bistümer gesetzt ist,
betrifft alle Regelungen zum Zustandekommen der
Härtefallklausel als Dienstvereinbarung. Die AK kann
Zulässigkeitsvoraussetzungen festschreiben und hat das auch
getan. Sie kann allerdings nicht regeln, wie Dienstvereinbarungen
wirksam zustande kommen. Das ist den
Mitarbeitervertretungsordnungen und dem kirchlichen Gesetzgeber
vorbehalten. Viele Anregungen zur Einführung besonderer
Genehmigungspflichten konnten bei der Gestaltung des Textes in
diesem Punkte leider nicht eingearbeitet werden. Die Regelung im
einzelnen:
Umfassende schriftliche Information
Im Detail ist dargestellt, welche Informationen der
Dienstgeber der MAV vor Abschluss der DV zu geben hat. Sie sollen
die MAV in die Lage versetzten, die Begründung für den
"Antrag auf Abschluss einer Dienstvereinbarung" genau
nachvollziehen zu können, also
- wie ist die wirtschaftliche Situation unserer
Einrichtung? Dies muss durch Vorlage der Bilanz mit
GuV-Rechnung und/oder andere geeignete Unterlagen geschehen.
- warum führt dies zu einer Existenzgefährdung?
Zu diesem Bereich gehört eine Darlegung der Behauptung
drohender Insolvenz, fehlender
Rücklagen/Rückstellungen oder
Kreditmöglichkeiten
- warum ist zur Abwendung des Problems ein Eingriff in die
Vergütungsregelung erforderlich? Hier hat der Dienstgeber
die konkrete Erforderlichkeit von Gehaltseingriffen zu
erläutern und darzustellen.
Gutachten eines Wirtschaftprüfers
In der Härtefallklausel 1999 war noch von dem
"Wirtschaftsprüfer der jeweiligen Einrichtung" die Rede. Das
hatte Leitungen zu der Einschätzung veranlasst, dass die
Aufgabe auch durch Personen wahrgenommen werden könnte, die
regelmäßig mit der (internen) Betriebsprüfung
beauftragt waren. Die jetzige Formulierung läßt diese
Annahme nicht mehr zu. Ein Wirtschaftsprüfer ist ein
unabhängiger Sachverständiger, der ein von den
Finanzbehörden anerkanntes, öffentliches Amt
ausübt. Nur wer Wirtschaftsprüfer in diesem Sinne ist,
kann und muss die Einschätzungen des Dienstgebers unter Ziff.
bb) inhaltlich durch eine gutachterliche Stellungnahme
bestätigen, also insbesondere dass
- eine existenzgefährdende Situation vorliegt
- die Aussetzung der Vergütungserhöhung den vom
Dienstgeber ausgewiesenen Betrag erbringt,
- die Anwendung der Härtefallklausel die Einrichtung
aus der Existenzbedrohung herausführen kann und
- es keine anderen (weniger einschneidenden)
Maßnahmen gibt, die zum gleichen Erfolg führen.
Neu und besser geregelt ist in den neuen
Härtefallklauseln der Umfang der Prüfungspflicht und die
Pflicht zur Einschaltung eines Wirtschaftsprüfers, die manche
Einrichtungen aufgrund der nicht ganz eindeutigen Formulierung in
der Klausel aus 1999 für nicht erforderlich hielten.
Anzeige an die Arbeitsrechtliche
Kommission
Schließlich hat jede Einrichtung, die eine
Härtefallklausel anwendet, diesen Sachverhalt, die Anzahl der
davon betroffenen Personen, und, nach dem eindeutigen Wortlaut,
auch den Text der Dienstvereinbarung dem Geschäftsführer
der Arbeitsrechtlichen Kommission anzuzeigen. Diese Anzeigepflicht
gab es auch schon für die 1999er Regelung. Während sie
dort aber als bloße Formvorschrift formuliert worden war,
ist sie jetzt als eine Art Zulässigkeitsvoraussetzung
ausgestaltet. Der AK ist bei dieser Regelung bewusst gewesen, dass
die Ziff.3 dieses Absatzes (b) wohl eine rechtlich problematische
Regelung darstellt. Zwar wurde ursprünglich auf Anregung
einiger Diözesanen Arbeitsgemeinschaften sogar überlegt,
ob die AK als Genehmigungsinstanz etabliert werden sollte: Ein
Gedanke, der angesichts technischer Schwierigkeiten in der
Handhabung und auch wegen großer rechtlicher Bedenken
schnell fallengelassen wurde. Aber auch die Anzeigepflicht als
Zulässigkeitsvoraussetzung ist nicht unproblematisch. Sie
kann nur als auflösende Bedingung im Sinne von § 158
Abs.2 BGB gesehen werden. Wer also die Dienstvereinbarung nicht
nach Abschluss anzeigt und den Text übermittelt, für den
entfällt nachträglich im Sinne einer auflösenden
Bedingung die Berechtigung zum Abschluss der Dienstvereinbarung.
Eine zunächst vertretbare Wertung, die allerdings mit der
Überlegung kollidiert, dass die Fragen des wirksamen
Zustandekommens einer Dienstvereinbarung auf der Grundlage der
MAVO beantwortet werden müssen.
Prüfungsrecht der
MAV
Neu und nach den Erfahrungen mit der 1999er Regelung
unbedingt erforderlich war eine Ergänzung, wonach die MAV auf
Kosten der Einrichtung eine eigenständige
Überprüfung der Unterlagen durch einen "sachkundigen
Dritten" verlangen kann. Während der Wirtschaftsprüfer -
wie oben dargestellt - die Rolle eines von den Parteien
unabhängigen Sachverständigen hat, geht es hier um eine
an den Interessen der Mitarbeitervertretung orientierte und ggf.
auch durchaus subjektive Begutachtung der von der Einrichtung
vorgeschlagenen Regelung. Als "sachkundige Dritte" kommen dabei in
Frage:
- Rechtsanwälte mit Kenntnissen/ Erfahrungen im
betriebswirtschaftlichen Bereich,
- sonstige Berater (Steuer-, Wirtschafts- und
Unternehmensberater) oder
- andere Personen, die nicht der Einrichtung
angehören, (Begriff des "Dritten") und auf
betriebswirtschaftlichem Gebiet über besondere Sachkunde
und Erfahrungen verfügen.
Es versteht sich von selbst, dass die Wahl des "sachkundigen
Dritten" in die Zuständigkeit der MAV fällt und nicht
dem Dienstgeber als formellen Auftraggeber überlassen ist.
Nur bei einem eigenen Wahlrecht der MAV ist die mit dieser
Regelung gewünschte, vom Dienstgeber unabhängige
Beratung der MAV sichergestellt.
Laufender
Informationsanspruch
Die Mitarbeitervertretung hat nach Ziff. d - auch das ist in
dieser Deutlichkeit neu - während der Laufzeit der
Dienstvereinbarung einen fortwährenden Informationsanspruch
zur wirtschaftlichen Lage der Einrichtung. Diesen Anspruch kann
der Dienstgeber entsprechend Abs. b Zif.1 nur dann ausreichend
erfüllen, wenn er der MAV auch geeignetes Zahlenmaterial,
insbesondere über die Höhe der durch die Klausel
eingesparten Lohnkosten, zur Verfügung stellt.
Dass bei Vorlage dieser Informationen ständig die Frage
einer vorzeitigen, ggf. auch schrittweisen Rückkehr zu den
"normalen" Tariflöhnen geprüft werden muss, ist eine
gewollte Konsequenz dieser Regelung. Allerdings kann die MAV hier
nur moralischen oder politischen Druck auf den Dienstgeber
ausüben. "Pacta sunt servanda" (zu deutsch: "Verträge
sind einzuhalten") gilt natürlich auch für
Dienstvereinbarungen. Die Möglichkeit einer Kündigung
nach § 38 der Mitarbeitervertretungsordnungen kann auch bei
einer DV nach der Härtefallklausel grundsätzlich nicht
ausgeschlossen werden, ist aber aus Zeitgründen wenig
praktikabel und gäbe dem Dienstgeber geradezu ein klassisches
Argument für betriebsbedingte Kündigungen.
Anwendungsbereich
Die Wirksamkeit der Dienstvereinbarung ist
grundsätzlich auf Mitarbeiter im Sinne der MAVO
beschränkt. Das könnte Dienstgeber veranlassen, leitende
Mitarbeiter/innen von der Aussetzung der
Vergütungserhöhung auszunehmen.
In einem insoweit neu formulierten Absatz g ist auf diese
Verfahrensweise ausdrücklich hingewiesen. Ein Verbot kann die
Arbeitsrechtliche Kommission nicht aussprechen. Sie musste sich
mit einer Sollvorschrift begnügen, die nur den Charakter
eines Appells hat. Dennoch steht die Glaubwürdigkeit jedes
Dienstgebers hier auf dem Prüfstand. Wenn das Ideal einer
Dienstgemeinschaft in der Realität von Einrichtungen im Sinne
von Solidarität aller "Mitarbeitenden" noch ernst genommen
wird, muss es sich an dieser Stelle realisieren. Wer hier für
leitende Mitarbeiter/innen - etwa im Hinblick auf einen in der
Summe geringen Einspareffekt - eine Ausnahme macht, hat kein
Recht, an die Solidarität der Klein- und Normalverdiener zu
appellieren.
Was sich nicht geändert
hat...
Gleich geblieben sind die Regelungen zu
- Ziff. e, also der Ausschluss von betriebsbedingten
Kündigungen und
- Ziff. f, die Berücksichtigung von
Härtefällen.
Beides sind keine Zulässigkeitsvoraussetzungen für
den Abschluss einer entsprechenden Dienstvereinbarung, sondern nur
Vorgaben an Dienstgeber und Mitarbeitervertretung, entsprechende
Regelungen in ihre Dienstvereinbarung aufzunehmen.
Die Frage der Rechtfertigung solcher Regelungen stellt sich
nach erster Betrachtung eigentlich nicht. Denn wer freiwillig
verzichtet, um die Einrichtung, also seinen Arbeitsplatz zu
retten, darf nicht durch eine Kündigung um die Früchte
seines Verzichts betrogen werden.
Dass angehende Rentner von Vergütungsabsenkungen
besonders in den letzten 5 Jahren vor Rentenbeginn
überproportional betroffen sind, ist weitgehend bekannt.
Für sie und auch für andere Mitarbeitergruppen wie zum
Beispiel
- Mitarbeiter/innen in befristeter Beschäftigung
insbesondere mit kurzer Restbeschäftigung
- bereits gekündigte Mitarbeiter/innen
- oder andere in schwierigen sozialen Situationen
können ähnliche Ausnahmen rechtfertigen. Jede
Mitarbeitervertretung sollte aber auch hier genau überlegen,
ob die Akzeptanz der Härtefallregelung durch einen zu
großen Ausnahmekatalog letztlich gefährdet wird. Das
wäre schlimmer als einige kleine Ungerechtigkeiten, die
letztlich oft nicht vermieden werden können.
Arbeitshilfe
Die Arbeitsrechtliche Kommission hat schon bei der
Einführung der Härtefallklausel 1999 wiederholt die
Forderung vermittelt bekommen, eine Muster-Dienstvereinbarung zu
erstellen. Diese liegt für die neuen Härtefallklauseln
vor und kann abgerufen werden. Dieses Muster kann allerdings eine
ausführliche Beratung der MAV durch die DiAG und einen
"sachkundigen Dritten" nach Ziff. c nicht ersetzen. Der Mustertext
versteht sich nur als Arbeitshilfe und Unterstützung bei der
inhaltlichen Erstellung eines Textes.
WoBa 09/2000